
Eigentlich wollte ich diese Woche etwas über das Thema Kommunikation schreiben. Und irgendwie geht es hier auch darum. Ich musste aber an ein Ereignis vor ein paar Jahren denken und das hat mich nicht nur veranlasst, zwei Tage inne zu halten, sondern auch, den Schwerpunkt zu verschieben. Damals verübte ein Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine deutsche Patrouille der Vereinten Nationen in MALI. Die Berichterstattung hierzu warf bei mir die Frage auf, ob wirklich alles, wie es inzwischen Gang und Gebe zu sein scheint, immer sofort berichtet werden sollte. Nun, mit etwas Abstand, hat sich dieser Verdacht leider erhärtet…
Was war passiert?
Am Freitag, den 25, Juni 2021 griff ein Selbstmordattentäter eine deutsche Patrouille der Vereinten Nationen in MALI – ca. 180 Kilometer nördlich von GAO – an. Der Angriff erfolgte gegen 6:30 Uhr Ortszeit, was 8:30 Uhr unserer Zeit entsprach. Hierbei wurden nach Medienmeldungen 12 deutsche Soldaten sowie ein weiterer Kamerad verwundet. Drei der deutschen Soldaten wurden schwer verwundet.
Keine fünf Stunden später, gegen 13:00 Uhr, hörte ich den ersten Beitrag zu diesem Vorfall in den Medien. Öffentlich-rechtliche und private Sender überschlugen sich mit Neuigkeiten. Anfänglich wurde sogar nur MALI genannt. Mein persönliches Highlight war ein längerer Bericht, der vermeintliche Neuigkeiten versprach, dafür aber lediglich Mutmaßungen verbreitete. Hauptaugenmerk in diesem Bericht, den man eigentlich in einem Boulevardmagazin der privaten Sender vermutet hätte, lag darauf, einen möglichst authentischen afrikanischen Hintergrund zu präsentieren. Hierzu wurde der Afrika-Korrespondent in NAIROBI interviewt, der auch sofort weitere hilfreiche Mutmaßungen zum Besten gab. Nur als kleine Hintergrundinformation: NAIROBI ist die Hauptstadt KENIAs und als solche ca. 4.500 Kilometer Luftlinie von GAO entfernt. Zum Vergleich: HAMBURG ist nur ca. 4200 Kilometer von GAO entfernt. Der Mehrwert einer solchen Schaltung lässt sich zurecht bezweifeln.
Gegen 18:00 Uhr trat die Bundesverteidigungsministerin vor die Presse und gab für die Bundeswehr ein Statement ab.
Was bedeutet eine solche Berichterstattung im Einzelnen?
Hier sind Menschen verwundet worden, die im Auftrag unseres Staates und der Vereinten Nationen zum Friedensprozess in MALI beitragen sollten. Diese Menschen haben Familien und Freunde. Innerhalb von viereinhalb Stunden kann nicht gewährleistet werden, dass alle Angehörigen betroffener Soldaten über einen Anschlag informiert worden sind – von der Gewährleistung einer psychologischen Betreuung ganz zu schweigen. Die jeweiligen Reporter machten auch nicht den Eindruck, dass sie sich hierzu Gedanken gemacht hätten. Ihr Hauptaugenmerk lag darauf, neue Schlagzeilen zu produzieren.
Vielleicht sollten wir uns einmal alle die Frage stellen, was wir uns wünschen würden, gerieten wir selbst in eine solche Situation. Ich habe mich mit diesem Thema lange auseinandergesetzt. Schließlich war ich selbst für über fünf Monate Teil der MINUSMA Mission in MALI. Wenn wir uns vorstellen, unser Lebenspartner befände sich gerade mit den Kindern im Supermarkt beim Einkaufen und eine Freundin käme herein, die gerade in den Nachrichten von dem Anschlag gehört hat. Sie würde denjenigen sicherlich umarmen und bekunden, wie leid ihr das alles täte. Sie hätte es gerade in den Nachrichten erfahren. Anschließend würde sie denjenigen bestürmen, ihr zu erzählen, wie denn unser Gesundheitszustand sei.
Ein solches Szenario ist nicht abwegig, dafür aber für die Betroffenen eine Qual. Vor ein paar Jahren habe ich an einem sehr fordernden Seminar zur Überbringung von Todesnachrichten teilgenommen. Jeder von uns kann in eine solche, unschöne Situation geraten – die einen mit höherer, die anderen mit niedrigerer Wahrscheinlichkeit. Aber vielleicht sollte künftig solch ein Seminar zum beruflichen Rüstzeug unserer Reporter werden.
Muss wirklich alles sofort berichtet werden?
Mit den ersten Berichten wurden unnötiger Weise alle Familien der ca. 900 Bundeswehrsoldaten in Angst und Schrecken versetzt, die zu jener Zeit in MALI ihren Dienst im Auftrag der Vereinten Nationen taten. In der konkreten Situation ist es für die betroffenen Familien besser, wenn sie die erste Information zu einem solchen Vorfall nicht ungefiltert aus der Presse, sondern durch geschultes Personal erhalten. Persönliche Betreuung ist hier angebracht. Und manchmal ist es sogar besser, zunächst gar nichts zu wissen, als mit Halbwissen zusätzlich verunsichert, ja verängstigt zu werden. Um in einem solchen Fall reagieren zu können benötigt die Bundeswehr Zeit. Es hat seinen fachlichen Grund, warum die Verteidigungsministerin erst um 18:00 Uhr vor die Kameras trat.
Vielleicht wäre es sogar für die Medien manchmal besser, Anstand, Rücksicht und Mitgefühl walten zu lassen, statt um jeden Preis der erste sein zu wollen. Die Männer und Frauen, die in den Auslandseinsätzen ihren Dienst tun, haben unseren Respekt verdient. Die Familien verdienen zumindest unsere Rücksichtnahme. Aus meiner Sicht geht hier aus ethischen Gründen das Informations- und Betreuungsrecht der Familien eindeutig vor dem Informationsrecht der Öffentlichkeit. Andere Vorfälle der jüngeren Zeit bestätigen leider meinen damals gewonnen Eindruck. Die Berichterstattung aus der Ukraine, gerade in den Anfängen der Invasion war auf sämtlichen Kanälen ähnlich professionell. Ich für meinen Teil bin auf jeden Fall zutiefst enttäuscht von unserer Medienlandschaft und der von ihr gelebten Berufsethik. Grundsätzlich wünsche ich mir ab der ersten Berichterstattung in einem solchen Fall den Hinweis, dass die Familienangehörigen verständigt wurden und sich in Betreuung befinden, so sie dies wünschen.
Normalerweise würde ich hier Werbung für meine Tätigkeit machen. Hierauf verzichte ich aber hier und heute und wünsche den Kameraden, die sich gerade für die Bundesrepublik Deutschland im Ausland befinden, eine gesunde Heimkehr und den Familien Kraft, Zuversicht und Stärke, bis ihre Lieben wieder bei Ihnen sind.