Verantwortung…

Heute ist Volkstrauertag. Im Allgemeinen ist es eine Zeit des Gedenkens. Vielleicht hängt es mit dem Wetter zusammen, aber im November werden wir etwas ruhiger und beginnen, nachdenklicher zu werden – zumindest sollten wir das. Am 09. November war der „Schicksalstag der Deutschen“ mit seiner dreifachen Bedeutung, am 11. November begingen einige unserer Nachbarländer den „Remembrance Day“, heute gedenken wir der Toten von Krieg und Gewaltherrschaft und am kommenden Sonntag folgt der Totensonntag. Aber Moment mal, der Artikel ist doch mit Verantwortung übertitelt. Warum schreibt er nun über Erinnerung und Gedenken? Finden Sie es gemeinsam mit mir heraus…
An Gedenktagen wird anderer Gedacht…
In unserem Land sind wir überall umgeben von Bauwerken oder anderen Einrichtungen, die uns an Ereignisse und Umstände tragischer oder freudiger Art sowie Personen hinweisen und erinnern sollen. Einige sind für uns sofort ersichtlich wie zum Beispiel Denkmäler, Gedenksteine oder Hinweisschilder, andere eher unscheinbar und zum Teil in Vergessenheit geraten, wie zum Beispiel Friedenseichen. Hinzu kommen Tage, die fest im Jahreskalender verankert sind und bereits gesellschaftlich dafür vorgesehen sind, bestimmter Ereignisse oder Personen zu gedenken. Ich mag altmodisch sein, doch für mich sind solche Tage welche, an denen ich mich ein wenig zurücknehme, in mich gehe und an eben diese Menschen und Ereignisse denke. Dieses stille Gedenken verursacht bei mir regelmäßig eine kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema und auch mit mir selbst. Dann stelle ich mir Fragen wie zum Beispiel: Tue ich das Richtige? Könnte ich etwas besser machen? Tue ich genug für die Allgemeinheit? Entwickelt sich die Gesellschaft insgesamt in eine eher positive oder eine eher negative Richtung? War die Entwicklung damals eine ähnliche und hätte man etwas verändern können oder gar kann man es heute?
Zugegeben, das sind keine einfachen Fragen. Aber ich erwarte auch nicht, dass ich mal eben eine alle Problemstellungen lösende Antwort finde. Ich gebe mich bereits mit kleinen Schritten zufrieden, die mein Handeln in eine, wie ich selber finde, positive Richtung stoßen. Denn es geht nicht um mich. Es geht darum, was ich meinen Kindern hinterlasse, womit ich sie prägen kann. Und wenn die kleinen Antworten dazu führen, dass sie etwas Gutes bewirken, dann muss das eine gute Richtung sein.
Leider nehme ich zunehmend war, dass es immer mehr Menschen gibt, die Gedenktage dazu nutzen, um sich selbst zu Profilieren. Vor einigen Jahren nahm ich an einer Gedenkveranstaltung teil und die Rednerin, eine Vertreterin aus der Lokalpolitik, hielt die Gedenkrede. Die Rede war zugegebenermaßen inhaltlich nicht falsch und sie enthielt auch all die salbungsvollen Formulierungen, die eine Gedenkrede enthalten sollte. Dennoch hatte ich die ganze Zeit ein merkwürdiges Gefühl bei der Sache. Als die Veranstaltung zu Ende ging, hörte ich dann, wie sie zu ihrem Assistenten sagte: „So, dann wäre das auch erledigt. Diese Traditionsveranstaltungen stehlen uns nur Zeit. Das bringt uns nicht weiter.“
Wer an Gedenktagen an sich selber denkt, der macht was falsch…
Mit diesen drei Sätzen hatte sie mein merkwürdiges Bauchgefühl kurz und knapp bestätigt. Obwohl an der Rede an sich nicht wirklich was auszusetzen gewesen wäre, hatte man doch gemerkt, dass ihr das Thema nicht wichtig war. Es war nur ein Termin, den sie wahrgenommen hatte, um in ihrem Wahlkreis besser anzukommen. Sie hatte weder eine innere Bindung zum Thema an sich, noch ein wirkliches Interesse an den damit verbundenen Schicksalen oder auch nur die Bereitschaft sich mit dem Thema auseinander zu setzen, um hieraus Lehren für die Zukunft ziehen zu können.
Aber genau das hätte ich von einer Politikerin am Volkstrauertag erwartet. Ich hätte erwartet, dass sie sich mit dem menschlichen Leid, zu dem falsche politische Entscheidungen geführt haben, auseinandersetzt und nicht, dass sie eine Ansammlung wohlklingender Phrasen präsentiert, die augenscheinlich von ihrem Assistenten als eine Art „Best Of“ zusammengestellt und in eine einigermaßen logische Reihenfolge gebracht wurden. Seitdem höre ich bei Gedenkreden genauer hin und muss leider feststellen, dass seit einigen Jahren die Reden zunehmend unter Wohlgefälligkeitsaspekten als durch kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema entstehen. Die vergangenen Jahre haben hier nochmals eine Phrasenspirale aufgezeigt.
Das Tragische hierbei ist nicht, dass die Qualität der Reden abnimmt, sondern dass daran ersichtlich wird, dass Führungspersönlichkeiten offensichtlich verlernen, was „GEDENKEN“ bedeutet. Dies ist aber nicht nur bei Politikern, sondern auch bei Führungskräften in der Wirtschaft zu beobachten. Beim Gedenken geht es nicht nur darum, einen Pflichttermin wahrzunehmen, bei dem man vorgaukelt, an eine Person oder Begebenheit gedacht zu haben und gegebenenfalls für eine gefühlte Minute betroffen auf den Boden zu starren. Es geht darum, diese Menschen und Ereignisse nicht zu vergessen, weil sie uns dazu mahnen sollen, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.
Erinnern ohne Gedenken ist ein gefährlicher Schein…
Diese Entwicklung ist gefährlich. Wer hier seine Verantwortung wahrnehmen möchte, muss sich zwangsläufig mit der Thematik auseinandersetzen und versuchen, sie in einen aktuellen Kontext zu überführen. Nur so kann uns Vergangenes etwas für die Zukunft lehren.
Am 12. November letzten Jahres durfte ich auf Einladung an einem Remembrance Service in Südwest England teilnehmen und fühlte mich persönlich beschämt. In einem Ort mit knapp 2.000 Einwohnern nahmen weit über 400 Menschen an der Gedenkveranstaltung teil. Alle Vereine und Organisationen beteiligten sich aktiv. Die kleine Kirche war überfüllt, die Meschen standen wo es möglich war und vor dem Eingangsportal drängten sich knapp 200 Menschen. Während bei uns zu Hause am Volkstrauertag gerne das Gedenken mit einer Hand voll Menschen vollzogen und mit einem Seitenhieb auf die Soldaten der Bundesswehr, die Soldaten unserer Parlamentsarmee „gewürzt“ wird, wirft man einen negativen Blick zurück. Zu meiner Überraschung durfte ich im vergangenen Jahr in England folgenden Zeilen folgen…
[…] Today we remember those of all wars, and all nations who ‘laid down their lives’ for others. Combatants and civilians from World War 1, World War 2, Korea, Malaya, Northern Ireland, the Falklands, Iraq, Afghanistan and other wars gave the ultimate act of service for others. For them it is devastating, but for us the task each year is less so painful; but none the less important. Remembrance is not so much about remembering the dead, but of thanksgiving that through their sacrifice we enjoy peace and freedom; a negative looking back is replaced by a positive looking forward. […] Watch some TV and film today and you will here in American settings people saying to military personnel - ‘thank you for your service!’; some of you will have experienced this directly. We don’t tend to say this in Britain, is it because we have lost sight over the years of the pain and devastation war brings, maybe we take our armed forces for granted? […] And more so, might we also commit ourselves to saying thank you for the services given by our military personnel today, and to each and every person who works for peace, freedom and the general well-being and flourishing that we all need!
Nach dem Gottesdienst wurden am Gedenkstein die Namen aller Einwohner des Ortes verlesen, die in einem der oben genannten Konflikte ihr Leben gelassen haben. Abschließend wurde eine zweiminütige Trauer abgehalten, die auch wirklich zwei Minuten ging. Alle Altersgruppen des Ortes waren vertreten.
Ich habe mich im Anschluss an die Gedenkveranstaltung mit dem Vikar unterhalten, der mich eingeladen hatte. Während unserer Unterhaltung sprach uns ein älterer Herr mit seiner Enkelin an der Hand an, bedankte sich beim Vikar für die Predigt und drehte sich dann zu mir um. Er sei der letzte der Kriegsgeneration im Ort und er hätte seinen Bruder im Kampf gegen die Deutschen verloren. Der Vikar hätte nach seiner Gefühlslage gefragt, bevor er die Einladung ausgesprochen hatet. Nun wolle er die Gelegenheit nutzen, mir zu sagen, dass sich die Zeiten geändert hätten. Er freue sich, dass ich der Einladung gefolgt bin und er hätte gehört, dass ich Reservist der Bundeswehr bin und Anfang des Jahres in Mali im Auslandseinsatz war. Als ich beides bejahte, nahm er meine Hand, drückte sie unerwartet fest, schaute mir tief in die Augen und sagte: ‘Thank you for your service!’
Ich habe an deisem einen Tag im vergangenen Jahr durch einen mir vollkommen fremden Menschen mehr Wertschätzung in nicht mal fünf Minuten erfahren, als ich dies insgesamt in über zehn Jahren durch meine Landsleute erlebt habe. Der Moment war zugegebenermaßen schön. Die Erkenntnis war erschreckend.
Oben habe ich bemängelt, dass Gedenktage zunehmend dazu genutzt werden, damit sich Menschen selber profilieren, ohne dabei den eigentlichen Sinn eines Gedenktages zu würdigen und zu erfüllen. Aus genau diesem Grund werde ich hier keine kunstvolle Schleife drehen, um auf mich oder meine Dienstleitsungen hinzuweisen. Wenn Sie hieran interessiert sind, finden Sie über mich ausreichend Lesestoff. Mir geht es darum, dass wir alle wieder einen Schritt zurück wagen, Gedenktage dazu zu nutzen, was sie sind – nein, was sie sein sollten. Sie sollen nicht nur dazu dienen, an Menschen oder Ereignisse zu erinnern, sondern sie sollen uns mahnen, die Zukunft besser zu machen, als es an solcher Stelle jene taten, die vor uns waren. Die Gründe hierfür seien dahingestellt. Gedenken bedeutet Verantwortung. Vor allem bedeutet es den verantwortungsvollen Umgang mit dem, was vor uns war und den Lehren, die uns das Vergangene für die Zukunft ins Lastenheft geschrieben hat.